Zwillingsschachtschleuse Eisenhüttenstadt

Ich hatte die Gelegenheit im Rahmen einer Führung die Zwillingsschachtschleuse Eisenhüttenstadt zu besichtigen. Die Zwillingsschachtschleuse befindet sich wie der Name auch verdeutlicht in der Stadt Eisenhüttenstadt am östlichen Rand des Landes Brandenburg. Die Zwillingsschachtschleuse ist das Abstiegsbauwerk des Oder-Spree-Kanals (OSK) zur Oder und auch der Abschluss der Scheitelhaltung des OSK. Sie hat damit für den Kanal eine mit dem Schiffshebwerk Niederfinow vergleichbare Position.

Analog zum Schiffshebewerk ersetzt die Schleuse auch eine ältere Schleusentreppe. Die Schleusentreppe wurde 1889 gebaut. Zur Schleusentreppe gibt es einen eigenen Beitrag in der deutschen Wikipedia, in dem u.a. steht:

Im Jahr 1889 wurde als Verbindung des neuen Kanals zur Oder eine dreistufige Schleusentreppe mit Oberer, Mittlerer und Unterer Schleuse südlich der Stadt Fürstenberg (Oder) errichtet. Auf einer Kanalstrecke von etwa drei Kilometern überwanden sie die mittlere Fallhöhe von 14 Metern zur Oder. Die drei Schleusenkammern waren jeweils 55,00 Meter lang und 9,60 Meter breit. Die Torweite der Stemmtore betrug 8,50 Meter. Jede der Schleusen wies eine maximale nutzbare Fallhöhe von etwa 4,40 Meter auf, immer abhängig vom im Unterwasser anstehenden Wasserstand. Die Obertore der drei Schleusen waren als hölzerne Klapptore, sogenannte tumble gates gebaut; erstmals in ganz Europa. Die Untertore wurden als Stemmtore ausgeführt.

Schleusentreppe Fürstenberg (Oder) – Wikipedia

Der oben verwendete Begriff tumble gates oder tumbler gate wird nicht weiter erklärt. Nach einiger Suche fand ich aber eine englische Veröffentlichung (HYDRAULIC DESIGN OF NAVIGATION LOCKS by John P. Davis) (Achtung, es ist direkt auf das pdf verlinkt) nach dem es sich um ein Klapptor handeln müßte, ähnlich wie sie auch in anderen Schleusen (z.B. Wusterwitz, Minden) noch verwendet werden.

Auch für die Zwillingsschachtschleuse gibt es einen eigenen Artikel, in dem u.a. folgendes steht:

Der Grundstein für die Zwillingsschachtschleuse wurde am 1. August 1925 gelegt. Das Bauwerk ist auf einer etwa 20 Meter unter dem Gelände anliegenden Tonschicht gegründet. Für den Bau der Schleuse wurden 130.000 Kubikmeter Gussbeton und 6.000 Tonnen Stahleinlagen benötigt. Am 1. November 1929 erfolgte die Verkehrsfreigabe.

Zwillingsschachtschleuse Eisenhüttenstadt – Wikipedia

Leider ist für den Transport auf dem Wasser und insbesondere auf dem OSK die Hochzeit vorbei. In einem Gespräch vor Ort erfuhr ich, dass durch die Schleuse Eisenhüttenstadt kurz vor der Wende ca. 4.000.000 Gütertonnen geschleust wurden. Zu der Zeit wurde hochwertige Kohle und Eisenerz aus Osteuropa nach Eisenhüttenstadt befördert.

Das Eisenerz wurde damals aus der Sowjetunion weitgehend auf dem Wasserweg importiert:

Im Rahmen des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurde Eisenerz aus Kriwoj Rog über den Kanal nach Brest transportiert, von wo aus es über den Schienenweg der metallurgischen Industrie der DDR (Eisenhüttenstadt) geliefert wurde.

Dnepr-Bug-Kanal – Wikipedia

Theoretisch hätten die Verkehre sogar durch Polen auf dem Wasserweg erfolgen können. Informationen dazu fand ich aber nicht.

Inzwischen soll der Verkehr auf unter 100.000 Gütertonnen pro Jahr gesunken sein. Wobei die verbliebenen Verkehre weitgehend hochwertige Projektladungen sein sollen. Siemens baut in einem Werk östlich von Eisenhüttenstadt größere Turbinenteile, die auf Grund ihrer Abmessungen wirtschaftlich nur über den Wasserweg transportiert werden können.

Der Anteil der Sportbootschifffahrt hat in den letzten Jahren allerdings zugenommen. Die große OderHOW-OSK-Runde lockt immer mehr Sportboote an. Fahrgastschifffahrt und Kreuzfahrer spielen dagegen aktuell nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Zu den Einbußen des Transports auf der Wassertraße und dem Rückgang insbesondere der Bedeutung des Oder-Spree-Kanals gibt es eine Kombination von Ursachen. Sicher sind es auch Veränderungen in der Industriepolitik durch den Übergang von der Plan- in die Marktwirtschaft. Aber auch die Marktwirtschaft ist ohne ein gewisses Maß an Planung nicht durchführbar. Und diese langfristigen Planungen sollte eigentlich die Politik leisten. Lokal und auch auf Bundesebene vielleicht sogar euopaweit.

Die Politik hätte u.a. dafür sorgen können, dass der OSK (und auch der Teltowkanal) zügig analog zum westdeutschen Kanalnetz (Wasserstraßenklasse Va mit 110m Länge, 11,40m Breite, 2,50m – 4,50m Abladung, Großes Rheinschiff oder GMS) ausgebaut wird. Stattdessen verzögert sich der Neubau bzw. die Verlängerung der Nordkammer der Schleuse Kleinmachnow (am Teltowkanal) weiter, die Schleusen Wernsdorf und Kersdorf wurden zwar verlängert auf 115,00 Meter aber auf nur 9,80 Meter Breite. Und ein Ersatz an der Staustufe Fürstenwalde wird zwar immer wieder überlegt und angeplant, aber nicht ausgeführt. Die Schleuse Fürstenwalde ist damit mit einer Länge von knapp 68 Metern das absolute Nadelöhr. Gleichzeitig überaltert der Bestand an passenden Schiffen, da kleine Neubauten durch Banken nicht mehr finanziert werden (nicht belegbare Aussage nach Gesprächen mit Binnenschiffern). Der Bund finanziert im Bereich des Verkehrsministeriums aktuell aber vor allem entsprechend der transportierten Gütertonnen. Andere Faktoren spielen nur eine untergordnete Rolle.

[Ein Gedanke zur Misere mit dem Gütertonnen wäre die Umrechnung von Projektladung in Gütertonnen z.B. entsprechend des Wertes der Ladung. Analog könnten z.B. auch Kreuzfahrtschiffe und Charterschifffahrt gewertet werden und dadurch vielleicht die volkswirtschaftliche Bedeutung mancher alter Wasserstraße auch sichtbarer werden.]

Und auch die Lokalpolitik hat es im Fall des Industriestandortes Eisenhüttenstadt nicht hinbekommen, die Vorzüge des Anschlusses an eine europaweit vernetzte Wasserstraße der Industrie so schmackhaft zu machen, dass diese nicht nur neben sondern am Kanal baut. Soweit mir bekannt, hat keine der Neuansiedlungen einen Anschluss an die Wasserstraße hergestellt. Chancen auf den Warentransport per Wasserstraße sind somit vertan.

Auch die europäische Politik hat den Oder-Spree-Kanal vergessen. Der OSK ist zwar als E71 Teltowkanal – Oder einer der Wasserstraßen des E Waterway Network und hätte in Verbindung E30 Ostsee – Donau und E70 Nordsee – Binnenwasserstraßen – Ostsee sowie in Kombination mit E40 Ostsee – Schwarzes Meer großes Potential. Aber es tut sich nichts. Stattdessen …

The E waterway network is composed of European inland waterways of international importance, of coastal routes used by river-sea vessels (E 01–E 91) and of ports of international importance on these waterways. These are defined in the European Agreement on Main Inland Waterways
of International Importance (AGN) of 19 January 1996 and the annex I. AGN has been ratified by 19 countries as of 2018 (Austria, Belarus, Bosnia and Herzegovina, Bulgaria, Croatia, Czechia, Hungary, Italy, Lithuania, Luxembourg, Netherlands, Poland, Republic of Moldova, Romania, Russian Federation, Serbia, Slovakia, Switzerland and Ukraine).

White Paper on the Progress, Accomplishment and Future of Sustainable Inland Water Transport

Daraus ergibt sich ein Teufelskreis. Wenige kleine alte Schiffe machen den Transport langsam teurer und irgendwann unmöglich. Sinkende Transportzahlen reduzieren die Investitonen. Das wiederum macht die Wasserstraße noch unattraktiver. Der Blick nach Westen zeigt eigentlich, dass Wirtschaft ohne Wasserstraße zwar möglich ist, mit leistungsfähiger Wasserstraße aber doch erfolgreicher.

Nach diesem kleinen verkehrspolitischen Ausflug aber zurück zur Zwillingsschachtschleuse. Das architektonische Konzept der Schleuse sah den Schleusenwärter (heute Schichtleiter) wie den Kapitän eines Schiffes. Der Blick auf die Schleuseninsel mit der Südkammer links und der Nordkammer rechts verdeutlicht das.

Die Südkammer ist seit einem Jahr trockengelegt. Wichtige Ersatzteile konnten bisher nicht beschafft werden.

In der Nordkammer ist der Wasserspiegel gerade auf dem unteren Niveau. Der Hub der Schleuse beträgt ca. 13 Meter, abhängig vom Wasserstand der Oder.

Interessantes Detail: Schwimmpoller in der Nordkammer

Führungen können sowohl über das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Spree-Havel – Außenbezirk Fürstenwalde (WSA Spree-Havel – Homepage – Oder-Spree-Kanal (OSK) ) als auch über die Touristinformation Eisenhüttenstadt:
tor-eisenhuettenstadt@t-online.de oder unter Tel.-Nr. 03364 413690 gebucht werden.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Zwillingsschachtschleuse Eisenhüttenstadt“

  1. […] Rahmen der Führung durch die Zwillingsschachtschleuse Eisenhüttenstadt bestand die Möglichkeit, den alten Steuerstand und auch andere Räume mit teilweise noch […]

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