Lost trails of Barnim - MTB Touren

Nachtfahrt nach Berlin

im Frühjahr 1999

Es war phantastisch.

Eigentlich ein Tag wie so viele im Frühjahr. Den ganzen Tag ist es grau, die Wolken hängen tief und der Regen fällt ununterbrochen, wie Bindfäden vom Himmel. Den ganzen Tag habe ich keine Lust, hinaus zu gehen. Aber am Abend kommt die Lust zurück, erwacht wieder.

Der Regen hat aufgehört. Es ist dunkel. Starker Wind bläst aus Nordwest bis West. Die Wolken ziehen schnell über den Himmel. Ich will heute nach Berlin fahren und gegen 22.00 Uhr breche ich endlich auf. Die ersten Kilometer mit Rückenwind, dann geht es in den Wald, der Wind kommt seitlich.

Es ist hell, so hell, daß ich die vordere Lampe ausschalte. Die vom Wasser gefüllten Schlaglöcher liegen klar vor mir, die Straße hebt sich als dunkles Band aus der Nacht. Dann endet der Asphalt. Der Weg ist komplett aufgeweicht, an einigen Stellen ist das alte Pflaster frei gelegt.

Ich mache die Lampe wieder an, der Weg wird nur unwesentlich besser ausgeleuchtet. Volles Rohr trete ich in die Pedalen und umkurve dabei die Löcher. Bei weicherem Boden spüre ich, wie der Reifen den Halt verliert. All meine Sinne sind komplett auf das Rad und den Weg konzentriert. Ich vergesse, daß ich erst dreißig Minuten unterwegs bin, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.

Die Stille ringsum, nur "gestört" durch das Rauschen der Bäume, läßt die Zivilisation ewig weit entfernt erscheinen. Plötzlich ein Rascheln rechts des Weges. Ich sehe zwei Schatten in den Wald flüchten, ein dritter überquert ca. Zehn Meter vor mir den Weg. Ein Glück, daß ich in Mitteleuropa unterwegs bin und es hier keine "wilden" Tiere gibt.

Lichter tauchen wieder auf und der Asphalt beginnt erneut. Es scheint plötzlich viel leichter, fast wie von selbst, zu gehen. Ich lösche das Licht wieder und konzentriere mich auf den weiteren Straßenverlauf. Zwei, drei Autos, dann ist wieder Stille.

Die Wolken kriegen größere Lücken, der Mond scheint hindurch. Taucht die feuchte Straße in silbriges Licht und läßt sie wie feuchtes Metall erscheinen. Die Felder kriegen die Farbe von ruhigem Wasser bei Nacht und ich bin mitten auf dem Ozean.

Vollmond, rauschen, Wolkenfetzen.

Ein Auto kommt von vorn. Seine Scheinwerfer tasten sich wie Lichtfinger durch die Nacht und zerstören den Traum. Es wird kälter. Ich muß anhalten und Handschuhe anziehen. In der Ferne kann ich die Lichter Berlins erahnen. Die Wolken werden von unten orange angeleuchtet.

Bernau liegt wie ausgestorben da. Nur wenige Autos sind unterwegs. Es ist Montag abend.

Die Straße macht einen Knick, mehr westwärts. Das leichte Rollen hat ein Ende. Der Kampf mit dem Wind beginnt. Ich stemme mich mit voller Kraft in die Pedalen. Ausruhen kann ich nur an den wenigen Stellen, wo Bäume oder Häuser den Wind abhalten.

Der Verkehr wird stärker und ich wünsche mich ans Ziel.

Die Stadtgrenze ist erreicht, nur noch wenige Kilometer. Jetzt noch einmal abbiegen und nach 1:40 Stunden komme ich voll ausgepowert aber überglücklich an mein Ziel.

...

Eine Woche später wieder die gleiche Situation. Es hat fast den ganzen Tag geregnet, zum Abend aber aufgehört und als ich gegen halb zwölf losfahre ist es völlig aufgeklart, ein herrlicher Sternenhimmel ist zu sehen.

Die Sterne leuchten fast so intensiv wie an einem kalten Wintertag. Der Mond scheint noch nicht und so weisen mir nur die Sterne etwas den Weg. Als ich das Licht lösche, hebt sich die Straße nur undeutlich von der Umgebung ab.

Ich muß mich sehr stark auf die vor mir liegende Strecke konzentrieren, fahre dann aber kurz nacheinander in zwei Schlaglöcher und mache das Licht wieder an. Erst ab Biesenthal ist es wieder besser.

Ich lösche das Licht und fliege mit leisem Rauschen durch die Nacht. Nebel steigt von den Feldern auf und legt sich auf alle Oberflächen. Sofort bildet sich Reif. Ich habe das Gefühl, als bildet sich eine dünne Reifschicht auf meinem Gesicht und wenn nur ein Muskel zuckt, zersplittert alles und reißt die oberste Hautschicht mit.

Bei Gegenverkehr mache ich das Licht wieder an. Von der Helligkeit geblendet muß ich die Augen noch mal kurz schließen. Mein Scheinwerfer tastet sich durch den Nebel, direkt über mir ist der Himmel sternenklar.

Bernau liegt verlassen da, aber plötzlich habe ich das Gefühl, der Himmel brennt. Links von mir steigt der Mond langsam über den Horizont. Er hat die Farbe von glühendem Stahl und scheint den ganzen Himmel in Flammen setzen zu wollen. Ich muß anhalten, um das Schauspiel in Ruhe genießen zu können.

...


stw (1999 - 2004)

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