Eigentlich habe ich keine Lust mit dem Rad zu fahren. Ich habe etwas herumgetrödelt und es ist schon fast 23.00 Uhr, als die Frage des Losfahrens konkret wird. Aber irgend etwas bringt mich doch dazu, das Rad zu nehmen und als ich das Haus verlasse und den Sternenhimmel sehe, bin ich froh diese Entscheidung getroffen zu haben.
Mit leichtem Rückenwind geht es den üblichen Weg nach Finow, dann durch die Fliegersiedlung auf die Straße nach Biesenthal am Flughafen. Es ist stockfinster, die Straße voller Schlaglöcher und überall sind große und kleine Pfützen. Die Straße hebt sich fast nicht vom Hintergrund ab. Es ist stockfinster. Es ist total ruhig. Nur das Rauschen des Windes und das Abrollgeräusch der Reifen berühren mein Ohr.
Am Samithsee beginnt wieder die Off-road-Strecke. Noch immer wird hier an der Straße gebaut und mir bleibt nur der aufgeweichte Rest des Weges. Meine Reifen haben kaum Grip und so fahre ich ziemlich langsam zwischen den Pfützen hindurch. Vom See ziehen Nebelschwaden herauf, so dicht, dass ich, durch den Scheinwerfer geblendet, in eine weiße Wand einzutauchen scheine.
Ich fokussiere den Lichtkegel neu, kann dadurch den Bereich direkt vor mir besser erkennen, aber die Fernsicht fehlt völlig. Allmählich gewinne ich auch wieder Vertrauen in meine Reifen, aber irgendwie ist dieses Fahrrad doch nicht für solche Wege geschaffen. Die Kraftübertragung klappt sehr gut, doch diese langgestreckte Sitzhaltung sorgt dafür, daß die Kontrolle nicht so gut ist.
Ich konzentriere mich dabei so sehr auf das Fahren, dass ich gar nicht merke, wie schnell die Strecke vorbei ist. Plötzlich rollt es wieder leicht und ich habe Asphalt unter den Rädern. Aber noch etwas hat sich geändert. Ich fühle mich eingeengt, etwas scheint die Straße schmaler zu machen. Weiße hohe Mauern scheinen sich auf beiden Seiten zu erheben und sich irgendwo in der Ferne zu treffen.
Instinktiv fahre ich in der Mitte der Straße, nur schön weit weg von dieser Barriere. Aber plötzlich wird mir bewußt, daß es nur die hellen Pflanzen am Straßenrand sind, die sich deutlich wie eine Mauer vom dunklen Wald abheben.
Dann ziehen wieder Nebelschwaden über die Straße. Nein sie ziehen nicht über die Straße, sie entstehen direkt aus ihr. Das Asphaltband scheint zu atmen und die ganze Feuchtigkeit des Tages wieder auszustoßen.
Ich nähere mich Biesenthal, die Tankstelle liegt dunkel und verlassen da und es herrscht noch viel Verkehr auf der Straße. Es muß wohl daran liegen, daß heute Himmelfahrt ist. Ein Besoffener schaut etwas skeptisch hinter mir her, aber ich war wohl zu schnell für ihn. Er hat wohl nicht begriffen, was da an ihm vorbei gerauscht ist.
Hinter Biesenthal kann ich endlich das Licht löschen und zum ersten mal den Sternenhimmel genießen. Aber die Sterne leuchten nicht mit voller Kraft. Irgend etwas verdunkelt sie, von Süden ziehen Wolken auf. Wie die Arme einer Krake oder eine sich langsam ausbreitende Amöbe oder wie die Arme einer Galaxie schieben sich die Wolken von Berlin aus über den Himmel. Dabei leuchten sie schwach orange.
Als ich einmal zurück blicke, bemerke ich, daß mein Rücklicht gar nicht mehr leuchtet. Zum Glück bemerke ich es, bevor ich überfahren werde. Auf einer Bundesstraße ohne Rücklicht zu fahren, ist sehr riskant und nicht gerade clever. Aber zum Glück habe ich Batterien dabei und bis zur beleuchteten Bushaltestelle in Wullwinkel ist es nicht mehr weit.
Danach geht es "volles Rohr" weiter. Doch schon in Rüdnitz die nächste Unregelmäßigkeit. An der ausgeschalteten Ampel tauchen plötzlich Fußgänger aus dem Dunkel auf. Ich fahre gerade ohne Licht und so sind wir alle sehr überrascht. Zu allem Überfluss wollen sie dann auch noch ausweichen bzw. mich vorbeilassen. Damit habe ich aber überhaupt nicht gerechnet und fahre fast zwei von ihnen über den Haufen.
Hinter dem Ort dann ein völlig neuer Geruch. Irgend etwas blüht und riecht jetzt in der Nacht unheimlich intensiv. Dazu zwitschern die Vögel und ich fühle mich in ein Tropenhaus versetzt. Ab Bernau wird der Gegenwind stärker und dadurch das Fahren zusehends schwerer. Jetzt will ich nur noch ankommen und trete noch stärker in die Pedalen.
In Lindenberg wird mir dann wieder schmerzhaft bewußt, in welchem Land ich hier eigentlich fahre. Zwei Typen sitzen an der Tankstelle Bierbüchse in der Hand und grölen mir irgendwelches Zeug hinterher. Ich bin froh, daß sie mit ihrem Hintern festgewachsen sind.
Aber dann wird es doch noch einmal schön. Es geht durch ein Spalier von Bäumen wie durch eine Säulenreihe und die Nachtigallen machen Krach ohne Ende und gleich darauf werde ich vom Duft der Rapsblüten fast erschlagen. Und das alles passiert in den Randbezirken von Berlin.
Als es dann anfängt, leicht zu regnen, bin ich froh am Ziel zu sein und falle geschafft ins Bett.
stw (1999 - 2004)
Gestern abend bin ich ja noch nach Berlin gefahren. Ich war eigentlich schon fast dabei einzuschlafen, habe mich aber doch aufgerafft und bin lieber noch losgefahren. Das lange Warten hat sich leider nicht gelohnt. Der Wind hat nicht ab, sondern eher noch zugenommen.
Im Wald bis Biesenthal ging es ja noch, aber danach hat er so richtig zugeschlagen. Gut drei Windstärken aus Süd und ich mußte voll gegenan.
Den Wind hätten wir Sonnabend abend gebraucht, dann hätten wir nachts herrlich segeln können. Hat mir da aber nichts geholfen. Für mich hieß es dann nur noch ankommen. Eigentlich wollte ich schön locker fahren, aber daraus wurde wieder mal nichts. Irgendwas ritt mich und ich begann voll zu kurbeln.
Leider konnte ich den Computer noch erkennen und so waren 29 km/h für mich die magische untere Grenze. Sowie die Geschwindigkeit darunter sank trat ich noch stärker in die Pedalen. Dazu legte ich mich noch tiefer über den Lenker und prügelte mich nach vorne.
Berghoch im Wiegetritt und abwärts noch einen Gang hochschalten. Gnade gab es nicht und so war ich nach ca. 1:40 doch wieder in der Arkonastraße. Hier noch schnell duschen und sowie ich im Bett liege, bin ich auch schon entschlummert.
STW (1999 - 2004)